Ärzte wollen Medizin machen – keine Bürokratie!
Versorgung sichern: Beim Herbstsymposium des Förderkreises ging es um neue Modelle der Zusammenarbeit
von Esther Geißlinger
Redaktionsbüro textAtur, Rendsburg
Seit 25 Jahren gibt es den Förderkreis Qualitätssicherung. Doch statt zurück schauten Mitglieder und Gäste bei ihrem Herbstsymposium in die Zukunft. So stellte sich Dr. Gisa Andresen als Nachfolgerin von Dr. Franz Joseph Bartmann vor. Der ehemalige Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein saß dem Gremium 19 Jahren lang vor und will den Posten nun abgeben. Die Anästhesistin Andresen ist Oberärztin der Flensburger Diako-Klinik, seit 2009 Delegierte der Kammer und seit 2013 Mitglied des Kammervorstandes Schleswig-Holstein. Unter anderem sitzt sie dem Fortbildungsausschuss vor und ist damit ehrenamtlich auch für die Akademie zuständig. Seit 2018 ist sie Vize-Präsidentin der Landes-Ärztekammer.
Auch inhaltlich stand in mehreren Diskussionsrunden und Impulsvorträgen des Abends eine Zukunftsfrage im Mittelpunkt: Wie lässt sich die medizinische Versorgung im Flächenland sichern? Bei der gut besuchten Veranstaltung im Kieler Steigenberger Hotel, die der freie Journalist Dirk Schnack moderierte, herrschte Einigkeit, dass es dafür neue Formen der Zusammenarbeit braucht. Zahlreiche Mediziner in Schleswig-Holstein arbeiten bereits heute erfolgreich in Gemeinschaftspraxen oder anderen Modellen der Kooperation. Diskutiert wurde, ob sich alle Gesundheitsversorger eines Gebietes über die Sektorengrenzen zu regionalen Versorgungsverbünden zusammenschließen könnten.
Zwar kann „die Politik keine neuen Ärzte backen“, wie Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg sagte, aber das Land tue vieles, um die ländlichen Räume attraktiv zu machen, damit sich junge Ärzte und ihre Familien dort wohl fühlen. Auch die Erhöhung der Zahl der Medizin-Studienplätze sei wichtig. Damit Mediziner auch entsprechend ihrer Leistung vergütet würden, setze er sich auf Bundesebene für die Ent-Budgetierung ein, sagte der FPD-Politiker. Dafür gab es Beifall vom Publikum.
Im Moment, das war eine der guten Nachrichten des Abends, herrscht kein Mangel. Vakante Sitze für Allgemeinärzte gibt es vor allem im Hamburger Speckgürtel, so Bianca Hartz, Leiterin der Abteilung Zulassung der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig- Holstein. Insgesamt zählt die KV 50 freie Sitze. Angesichts von 2700 unbesetzten Praxen bundesweit sei „Schleswig-Holstein sehr weit weg“ von den Sorgen anderer Bundesländer.
Doch, und da schrillen erste Alarmglocken: Von den rund 1900 Hausärzten im Land ist heute ein knappes Drittel 60 Jahre oder älter. Die Nachfolgersuche gestaltet sich vielerorts schwierig. Denn jüngere Ärztinnen und Ärzte achten mehr als ihre Vorgänger auf die Work-Life-Balance: Sie wollen Zeit für ihre eigene Familie, scheuen die Bürokratie und die Verantwortung einer eigenen Praxis.
Diesem Bedürfnis kommt die Arbeit in einer größeren Gemeinschaftspraxis entgegen. Von diesem Modell berichtete Dr. Thomas Maurer, Landesvorsitzender des Hausärzteverbandes Schleswig-Holstein. Seine Gemeinschaftspraxis arbeitet an zwei Standorten, das Team umfasst sechs Ärztinnen und Ärzte. Jedes Teammitglied kann sich passende Arbeitszeiten aussuchen, die sich je nach Lebensalter ändern: Solange die Kinder klein sind, sind es vielleicht nur zwei Tage pro Woche. Wer keinen familiären Anhang hat, nimmt auch Überstunden in Kauf, und wer in der Phase kurz vor dem Ruhestand nicht mehr durchgehend in der Praxis sitzen will, deckt die Randstunden am frühen Morgen und Abend ab.
Auch Dr. Marc Koch, Geschäftsführer von MedBaltic, sah Vorteile für die Ärzte, die gemeinsam in einer Praxis tätig sind: Statt Verantwortung und Bürokratie stehe Teamarbeit im Mittelpunkt. Auch die Patienten gewinnen durch die hohe Spezialisierung im Team. 14 orthopädische, unfallchirurgische, neurochirurgische und plastisch-chirurgische Fachärzte gehören zum Netz von MedBaltic, die über das ganze Land verteilt sind, aber eng vernetzt arbeiten: „Der Patient kommt so schnell zum Spezialisten“, sagte Koch. Sowohl er als auch Maurer sprachen von einem überschaubaren bürokratischen Aufwand für die Organisation.
Wenn kein Mediziner die Praxis übernehmen will, springt die Gemeinde ein – diesen Weg ging Büsum im Jahr 2015. Das Ärztezentrum arbeitet seither erfolgreich, berichtete Thomas Rampoldt, Geschäftsführer der Ärztegenossenschaft Nord, die die Gründung in Büsum begleitet hat und das Management stellt. Rampoldt hält das klassische Modell mit Niedergelassenen in eigenen Praxen eigentlich für das beste Versorgungsmodell. Aber die Lösung, dass die Kommune einspringt, sei deutlich besser als Leerstand. Aktuell laufen in mehrere Orten Verhandlungen für weitere kommunale Praxen.
Auf Zusammenschlüsse setzt auch die KV, sagt Hartz. Mit ihrem Strukturfonds, in den die Krankenkassen einen Teil einzahlen, werden künftig vor allem solche Praxisgründungen und Verbünde unterstützt, die in Zentralorten und Mittelzentren liegen, wie der Landesentwicklungsplan sie definiert.
Als großen Vorteil von Zusammenschlüssen und MVZs bezeichnete Dr. Bernd Hillebrand, Leiter der Barmer-Landesvertretung Schleswig-Holstein, dass sie Personal für die Verwaltung beschäftigten: „Ärzte wollen Medizin machen, keine Bürokratie.“ Er schlug regionale Versorgungsverbünde vor, in die neben Praxen auch die örtlichen Kliniken und ambulante Pflege einbezogen werden.
Patrick Reimund, Geschäftsführer Krankenhausgesellschaft e.V. Schleswig-Holstein, zeigte sich offen für die Zusammenarbeit über Sektorengrenzen: „Krankenhäuser können Bürokratie, und wir haben Bürokraten, die mit Ärzten können.“
Hillebrand warnte davor, dass Tech-Giganten wie Google oder Amazon auf den Markt der medizinischen Versorgung vordringen. Die ganz Großen haben Schleswig-Holstein noch nicht entdeckt, aber Investoren seien etwa im Bereich der zahnärztlichen Versorgung auf dem Vormarsch, berichtete Dr. Joachim Hüttmann, Mitglied des Landesvorstandes Freier Verband Deutscher Zahnärzte e.V. Ketten würden Zahnarztpraxen aufkaufen und junge Kollegen „absaugen“. Auch bei den Zahnärzten geht der Trend zum Zusammenschluss, 20 Z-MVZs gebe es landesweit bereits.
Nicht nur bei Ärzten, auch bei Apotheken droht Mangel, sagte Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein. Seit 2001 seien landesweit 102 Apotheken verschwunden. Eine Bedarfsplanung gibt es für die Medikamentenversorger nicht, eben damit entstehe Unsicherheit, so Froese. Er warnte davor, großen Anbietern im Netz den Markt zu überlassen: „Amazon ist die Oma auf dem Land egal.“
Auch technische Lösungen können helfen, dass Menschen in strukturschwachen Regionen gut versorgt bleiben. Die Telemedizin kann Wege überwinden und Zeit sparen, weil Patienten per Bildschirm ärztlichen Rat einholen können. Gesetzlich sind die Weichen dafür gestellt, aber die Honorierung der Videosprechstunden sei noch zu gering, so Dr. Franz Joseph Bartmann. Minister Garg stimmte zu, dass hier nachgebessert werden müsse.
Wobei die Technik manchmal mehr Probleme schafft, als sie löst, sagte Thomas Maurer: „Mit der Hand habe ich zehn Überweisungen oder Rezepte schnell unterschrieben. Am Bildschirm heißt es klicken-klicken-klicken …“
Dr. Gisa Andresen zog ein positives Fazit des Abends: „Es bewegt sich schon vieles im Land. Wir können gemeinsam viel bewegen, und deshalb wird es uns auch in Zukunft gelingen, die Versorgung sicherzustellen. Wir werden auf die Wünsche der ,neuen’ Ärztegeneration eingehen, die Möglichkeiten der digitalen Transformation dort nutzen, wo sie von Nutzen ist und – auch da bin ich zuversichtlich, dass es uns gelingen wird – im Gespräch bleiben.“
Esther Geißlinger
Redaktionsbüro textAtur, Rendsburg