Talk about mit Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler
Interview mit Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler
Facharzt für HNO-Heilkunde
vom 18.02.2019
FKQS-SH: Sehr geehrter Herr Dr. Löhler unsere erste Frage wäre, sind Sie schon an der Telematik-Infrastruktur (TI) angeschlossen und wenn ja, war der technische Aufbau problemlos?
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler: Ja, wir sind angeschlossen. Ich habe mich schon von Anfang an entschieden die Praxis gleich mit dem Start der Möglichkeit des Einbaus der Konnektoren an die TI anzuschließen. Wir verwenden das PVS System Turbomed der CompuGroup. Der Anschluss lief dann problemlos.
Wie sind bislang Ihre Erfahrungen mit dem System?
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler: Nach dem Anschluss liefen meine Systeme deutlich langsamer. Wir haben daher die Anbindung der PVS an einzelnen Stationen erst einmal abgeschaltet, da wir sie dort derzeit nicht brauchen. Ich bin außerdem nach wie vor auf das FAX angewiesen. als ein großes Problem sehe ich die Qualität des Internets. In meiner Praxis habe ich zeitweise sogar Probleme EMails abzurufen. Mein gesamter Praxisalltag wird dadurch ausgebremst. Die Telematikstruktur und das Internet müssen mir dienen und nicht zusätzlich Zeit kosten.
Meiner Meinung nach wurde bei Einführung der TI das Pferd von hinten aufgezäumt. Die Politik hätte erst die benötigte flächendeckende Infrastruktur, also schnelles Internet bereitstellen müssen, bevor sie die TI einführt.
Im Moment fühlt sich das Ganze hier an, wie mit einem Porsche auf dem Feldweg zu fahren. Ich habe zwar eine Anfrage bei der Stadtverwaltung gestellt, ob mir und anderen Ärzten kurzfristig eine schnellere Leitung zur Verfügung gestellt werden könnte. Die Antwort war, dass man vom Bereitstellungsplan nicht abweichen könne. Hier werden also seitens der Kommune keine Prioritäten gesetzt; man geht weiter nach Schema F vor, immer schön der Reihe nach.
Diese Denkweise zieht ganz sicher auch keine jungen Ärzte in den ländlichen Raum. Der Großteil der Ärzte ist, genau wie ich, durchaus technikaffin; nur dass der Internetausbau im ländlichen Raum den Anforderungen nicht gewachsen ist.
Für die Zukunft sehe ich ein weiteres Problem, insbesondere in Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI). Auch diese kann ärztliche Arbeit möglicherweise unterstützen. Allerdings sind viele Fragen ungeklärt, was ist mit der Schuldfrage, was ist mit der Haftung? Bei Nichtfunktionieren der TI oder Versagen der KI sehe ich da noch viele große Fragezeichen.
Wie könnte Ihrer Meinung nach die TI Sie in Ihrer Praxis unterstützen?
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler: Die TI, insbesondere mit KI könnte eine große Hilfe sein, wenn sie Arbeit erleichtern würde; stattdessen verursacht sie derzeit nur zusätzliche Arbeit.
Als ein Beispiel ist hier die elektronische Patientenakte zu nennen. Derzeit kommen die Patienten gelegentlich mit dicken Leitz-Ordnern in meine Praxis, in denen Sie alle Dokumente Ihrer Erkrankungsgeschichte gesammelt haben. Ich habe hierfür schon keine Zeit diese durchzuarbeiten. Die angedachte flächendeckende und die derzeit von den Krankenkassen angebotenen elektronischen Patientenakten bringen mich auch nicht weiter. Sie sind derzeit nur eine Sammlung von PDF-Dokumenten, also eher „ein elektronischer Leitz-Ordner“.
Diese Informationsüberflutung vergeudet noch mehr Zeit. Für eine optimale Therapie ist man eigentlich als Arzt verpflichtet, alles durchzusehen, von der ersten Infektion im Kindesalter bis heute. Das ist im derzeitigen Praxisalltag nicht realisierbar.
Eine elektronische Patientenakte würde mir in der Praxis helfen, wenn eine vernünftige Priorisierung mittels künstlicher Intelligenz, sozusagen ein vorgeschalteter Filter integriert wäre, der z. B. für die HNO-Heilkunde fachspezifisch und symptombezogen die Daten vorsortiert, so dass ich mit einem Klick die relevanten Daten, die ich für die Therapie benötige, schnell aus der Akte ziehen könnte.
Dazu gehört für mich zwingend auch ein, von allen an der Therapie des Patienten beteiligten Personen geführter, elektronischer Medikationsplan, der Eintrag auf Unverträglichkeiten und Allergien.
Haben Sie Ängste bezüglich der Kommunikation über die TI mit den Krankenkassen – und wenn ja welche?
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler: Die große Frage ist erst einmal, bei wem die Daten landen. Dr. Google lehne ich komplett ab und auch z. B. die APP ADA der Techniker Krankenkassen finde ich in ihrer derzeitigen Version nicht in Ordnung. Den Patienten machen Dr. Google und ADA in den meisten Fällen Angst,
da sie die Empfehlungen ohne medizinisches Wissen nicht verstehen können. Der Arzt sollte im direkten Kontakt mit dem Patienten die Diagnose durch eine Untersuchung stellen und dann gemeinsam mit dem Patienten die geeignete Therapie finden. Die Ergebnisse von Dr. Google und der ADA sind doch nur Empfehlungen und könnten den Patienten vorbeeinflussen bzw. verunsichern. Außerdem befürchte ich, dass die Kassen über die TI Daten sammeln wollen, um Einfluss auf die Therapie ihrer Versicherten zu nehmen. Deren Ziel ist es doch häufig bei der Versorgung zu sparen. Meiner Meinung nach müsste die Hoheit über die Daten aber generell beim Patienten liegen.
Wir Ärzte benötigen eine offene und transparente Partnerschaft mit Patienten und Kassen um eine gute Versorgung zu gestalten. Für mich ist nicht vorstellbar, dass die Politik will, dass Apps unser heutiges System mit einer persönlichen Arzt-Patientenbeziehung in Zukunft ersetzen.
Gibt es erste negative Erfahrungen bezüglich des Einlese-Prozesses der Versichertenkarten?
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler: Es gibt hin und wieder Probleme mit den alten Versicherungskarten. Meine MFA müssen das Problem dann aushalten. Häufig ist ein Kollege noch nicht an der TI angeschlossen und bei ihm funktioniert dann die alte Karte noch. Kommen die Patienten dann zu mir, und die Karte
kann nicht eingelesen werden, verunsichert es die Patienten und trifft auf Unverständnis. Diese Hürde hätten man auch nicht aufbauen müssen, wenn rechtzeitig vor Einführung der TI alle Versicherten die neuen Karten erhalten hätten bzw. seitens der Kassen informiert wären. Das Problem wird erst dann enden, wenn alle Ärzte an die TI angeschlossen sind.
Zum Schluss möchten wir Sie fragen, was Sie sich bezüglich der TI von der Politik und der Selbstverwaltung wünschen würden?
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler: Erst einmal möchte ich sagen, dass die Zusammenarbeit mit der KVSH sehr gut funktioniert hat. Die KV macht das in Schleswig-Holstein grundsätzlich sehr ordentlich. Wir Ärzte sind gut informiert worden und können uns jederzeit mit Fragen an sie wenden.
Die KV sollte der Politik weiterhin klarmachen, dass das Pferd nicht von hinten aufgezäumt werden darf; solange kein sicheres und schnelles Internet überall vorhanden ist, kann das System nicht scharf geschaltet werden. Man kann das nicht einfach den Ärzten überstülpen und Ihnen bei kritischen Äußerungen pauschal Technikfeindlichkeit vorwerfen. Das zeugt von großer Unkenntnis.
Vor einem Dreivierteljahr gab es erst einen Konnektoren-Anbieter. Die Ärzte sollten nicht dafür bestraft werden, wofür sie nichts können, von daher müsste die Frist zur Einführung noch weiter verlängert werden.
Mein Wunsch ist auch, dass die Finanzierung der TI gesichert ist. Eine reine Anschubfinanzierung reicht meiner Meinung nicht aus. Die Vergütung ist noch nicht geklärt, Mehrarbeit muss irgendwie abgebildet werden; stattdessen stehen Honorarkürzungen im Raum, wenn man sich nicht innerhalb der von der Politik vorgegebenen Grenzen anschließt. Weiterhin: Was ist mit den laufenden Kosten und was, wenn die erste Generation der Konnektoren nicht mehr funktioniert, wer übernimmt die Folgekosten? Alle diese Fragen sind noch nicht geklärt. Und es kann nicht sein, dass hier dann ein Subventionspaket für die IT-Industrie auf Kosten der Ärzte geschnürt wird.
Und zuletzt, wie schon gesagt, die Telematikinfrastruktur könnte im Idealfall meine Arbeit unterstützen, wenn eine elektronische Patientenakte vorhanden wäre, die mir die Daten intelligent vorgefiltert nach meinen Bedürfnissen bereitstellt, die Kommunikation mit anderen Ärzten, Kliniken und Apotheken vereinfacht.
Sehr geehrter Herr Dr. Löhler, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Gespräch führten: Dr. Monika Övermöhle und Helga Schilk
Curriculum Vitae Priv.-Doz. Dr. med. habil. Jan Löhler
Stabsstelle Unternehmensentwicklung, Vorstands- und Aufsichtsratsadministration; Ärztliche Leitung Qualitäts- und Risikomanagement und Patientensicherheit des UKSH
1988-1994 | Studium der Humanmedizin |
1994 | Promotion |
1999 | Facharzt für HNO-Heilkunde |
2009 | Erwerb der Zusatzbezeichnung „Geriatrie“ |
seit 2009 | Direktor des Wissenschaftlichen Instituts für angewandte HNO-Heilkunde des BVHNO Mitglied der AG Hörgeräte und audiologische Messtechnik bei der Deutschen Kommission Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik im DIN und VDE |
2010 | Erwerb der Zusatzbezeichnung „Audiologe und Neurootologe (BVHNO)“ |
seit 2012 | Landesvorsitzender des BVHNO Schleswig-Holstein Kuratoriumsmitglied der Deutschen Fortbildungsgesellschaft der HNO-Ärzte mbH |
seit 2013 | Stv. Vorsitzender des Lenkungsausschusses des Deutschen Studienzentrums für HNOHeilkunde, Kopf- und Halschirurgie der DGHNOKHC und des BVHNO |
seit 2015 | Mitglied des Präsidiums der Deutschen Akademie für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopfund Halschirurgie e. V., Bonn |
Mai 2018 | Verdienstmedaille der Dt. Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie |
Juni 2018 | Habilitation für das Fach HNO-Heilkunde und Ernennung zum Privatdozenten |