Talk about mit Dr. med. Svante Gehring

Interview mit Dr. med. Svante Gehring

Internist, 1. Sprecher des Vorstands der Ärztegenossenschaft Nord eG, Vorstandsmitglied Ärztekammer S-H, Stellvertretender Vorsitzender MEDI GENO Deutschland e.V.

vom 21.05.2019

 

FKQS-SH: Sehr geehrter Herr Dr. Gehring, wo sehen Sie die Chancen bzw. Risiken bei der Telematik-Infrastruktur?

Dr. Svante Gehring: Die Telematik-Infrastruktur bietet die Chance auf allen Ebenen einen gemeinsamen Informationsstand zu den Patienten zu schaffen. Ebenso bietet sich die Möglichkeit die stationären Bereiche mit dem ambulanten Sektor künftig besser zu vernetzen.

Das Risiko sehe ich in der Strukturierung der Daten. Nur pdf-Dateien werden uns nicht weiterhelfen. Wir benötigen in einer elektronischen Patientenakte (ePA) eine vollständige Informationsdatenbasis zu den Patientenbefunden. Eine solche künftige Patientenakte muss intuitiv zu führen sein.
Die Möglichkeiten der ePA liegen darin, eine Datenbank zu schaffen, die interaktiv geführt werden kann und so einen sinnvollen Zugriff für die Versorger eröffnet.

Was bedeutet das für den Anwender? Ärzte möchten die Interoperabilität mit ihren Praxisverwaltungssystemen, Patienten mit dem Smartphone. Darin liegt aber letztlich auch das Risiko vor externen wie auch internen Hackerangriffen. Ich würde mir wünschen, dass Spezialisten wie zum Beispiel der Chaos Computer Club hier Gehör bekämen, wenn es um das Aufzeigen von Sicherheitslücken bei Gesundheitsakten und in der TI geht. Die Möglichkeiten der modernen Verschlüsselung werden viel zu wenig genutzt. Eine Lösung könnte in Zukunft die Anwendung der Quantenkryptografie sein. Die Infrastrukturen sind bisher im Gesundheitswesen meist ein „Gerippe“ aus altmodischen Geräten. Mir ist nicht klar wie sicher zum Beispiel mein Router ist.

Wenn Sie nach dem Risiko der TI fragen, dann ist u. a. mein Fazit, dass die Fragen der Sicherheit nicht ausreichend beantwortet sind.
Zum anderen sind auch die Verantwortlichkeiten bei Haftungsfragen im Datenschutz nicht geklärt, ebenso wie die daraus abzuleitenden Folgen für die Anwender.
Ein Beispiel: über die TI werden ja auch u. a. die DMP´s mitbedient. Wenn hier Informationen über die TI ausgetauscht werden, weiß ich, dass ich als Anwender zumindest für die Firewall in meiner Praxis verantwortlich bin. Bei einem Schadensfall ist aber nicht definiert, wie eine Analyse laufen würde. Wo war das Datenleck, wer findet es in der TI und wer haftet letztlich für die sichere Datenübertragung? Ich hätte mir hierzu eine Klarstellung gewünscht, dass Computerexperten und Datenschützer im Vorhinein die Kriterien für die notwendigen Maßnahmen seitens der Anwender im Schadensfall definiert hätten.

Wird aus Ihrer Sicht die Politik den Termin bzgl. möglicher Honorarkürzungen eventuell noch einmal verschieben, weil die Softwarehäuser die Praxen nicht schnell genug ausstatten können?

Dr. Svante Gehring: Der Termin bzgl. der Honorarkürzungen wird sich aus meiner Sicht nicht verschieben.

Ich finde nur den Weg der Honorareinbußen den falschen Weg, um Ärzte zur TI zu bewegen. Die Kritiker der TI werden nicht durch Honorarkürzungen umgestimmt in ihrer Haltung. Was die Ärzte benötigen, ist mehr Sicherheit im Umgang und Verständnis für die TI. Wir Ärzte wurden aber nicht in geeigneter Weise abgeholt. Wenn wir die Umsetzung zum Anschluss an die TI in Schleswig Holstein betrachten, rechne ich am Ende mit 3-5 % Totalverweigerern. Die Zahl der Kritiker ist deutlich höher. Hier hervorzuheben sind die Psychotherapeuten und psychotherapeutisch tätigen Ärzte, die verständlicherweise die Übertragung von schutzwürdigen Informationen besonders skeptisch sehen.

Die Frage ist also nicht, ob wir „es“ machen, sondern wie bekommen wir „es“ hin.

Ein zentrales Element der vernetzten Gesundheitsversorgung ist die elektronische Patientenakte (ePA). Wie stehen Sie dazu?

Dr. Svante Gehring: Google & Co. werden ihre Angebote formulieren und die Patienten werden am Ende abstimmen, was für Sie passend ist. Ich hoffe, wir kommen denen zuvor. Ich glaube fest daran, dass eine ePA zur Verbesserung der Versorgung ein wichtiger Schritt ist.

Die Technologien die hier verwendet werden, sind z. T. schon wieder veraltet. Blockchain-Technologien bieten z. B. Lösungen, die Datensätze dezentral zu lagern und entsprechend wieder zu verknüpfen und zu erweitern sowie die notwendige Datensicherheit zu bieten, wenn Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen implementiert sind. Durch Ansätze wie „Privacy by design“ kann der Schutz personenbezogener Daten im Sinne der DSGVO erfolgen. D.h. schon im Entwicklungsstadium werden frühzeitige technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen ergriffen.

Privatversicherte sind hier leider deutlich schlechter gestellt als GKV-Versicherte. Die PKVen haben hier z. T. die Entwicklungen verschlafen. Die Themen Prävention und ePA wurden nur gering beachtet, hier bedarf es einer Nachbesserung seitens der PKVen.

Die TK hat Ihre Gesundheitsakte ausgerollt. Die Unterscheidung zwischen Gesundheitsakte der GKV und ePA für die Ärzte wird zum Teil noch nicht verstanden. Künftig müssen diese Systeme interoperabel sein. Die Ärzte wollen natürlich künftig nicht mit hunderten von Systemen auf verschiedenen Plattformen arbeiten.

Zum Beispiel führen wir derzeit unsere Patientenkommunikation auch über eine App aus. Auch diese Plattform muss dann mit geeigneten Schnittstellen versehen werden. Wenn die ePA gut angelegt ist, dann ist sie ein Fortschritt. Die Begehrlichkeiten sind hier aber sehr groß auf allen Seiten. Zum einen müssen dann noch die Zugriffsrechte durch Patienten und die verschiedenen Player im Gesundheitswesen freigegeben werden, ebenso wie die Datenbanken für die Nutzung z. B. der Versorgungsforschung zugänglich gemacht werden müssten, die für Deutschland elementar wäre.

Seitens der Krankenkassen haben wir keine Ansprechpartner, die bei TI-Problemen verantwortlich wären. In Punkto Honorierung und Finanzierung bleibt die KV unser Ansprechpartner. Doch der Patient bleibt unser Hauptansprechpartner bei der Entscheidung der Datenpflege. Während der Arzt-Patienten-Kommunikation wird dann gemeinsam die Entscheidung getroffen, was am Ende in der Akte stehen wird.

Wie sehen Sie die derzeitige Finanzierung der TI?

Dr. Svante Gehring: In unserer Praxis ist das gut kalkulierbar. Die Ärzte in Schleswig-Holstein können sich nicht beschweren, denn die KVSH hat Extrageld zur Verfügung gestellt und finanziell die Praxen in der Anschaffung der notwendigen Infrastruktur unterstützt. Ebenso werden bei Problemen die Fragen bei der KVSH gut beantwortet. Probleme entstehen bei Praxen, in denen immer wieder Abstürze generiert werden, ohne genau herauszufinden, woran das im Einzelnen liegt. Hier sind natürlich dann Ressourcen gebunden, die Arbeitszeit verloren und Techniker zu bezahlen, die nicht vergütet werden.

Das eigentliche Finanzierungsproblem liegt eher in der Zukunft, wenn weitere Anschaffungen notwendig sind, um die Systeme den aktuellen Standards anzupassen und am Laufen zu halten.

Werden Sie in der Umsetzung der Telematikinfrastruktur durch die Systemanbieter entsprechend unterstützt?

Dr. Svante Gehring: Im Handling vor Ort bekomme ich meine EDV-Probleme in den meisten Fällen alleine gelöst. Mit meinem Anbieter bin ich grundsätzlich zufrieden und ich habe zusätzlich das Glück, dass mein Weiterbildungsassistent hier digital affin ist. Er kennt sich exzellent aus und hilft uns bei Problemen.

Das Gespräch führten: Yvonne Leichsenring und Lars Lüdemann

Curriculum Vitae Dr. med. Svante Christoph Gehring

Hausärztlich tätiger Internist aus Norderstedt, 1. Sprecher des Vorstands der Ärztegenossenschaft Nord eG und Vorstandsmitglied Ärztekammer S-H mit Vorsitz Berufsordnungsausschuss, Stellvertretender Vorsitzender MEDI GENO Deutschland e.V.

1986 Abitur und Immatrikulation Med. Uni. in Lübeck (MUL)
1995 AiP/Assistenzarzt im Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin der MUL
1996 Approbation und Promotion in Lübeck (Stipendium der Schering AG seit 1992)
1997 Stipendium am Forschungszentrum Borstel (Experimentelle Immunpharmakologie), Assistenzarzt an der Medizinischen Klinik des Forschungszentrums Borstel
2002 Assistenzarzt an der Uni SH, Campus Lübeck, Med. II (Kardiologie)
2004 Facharztanerkennung für Innere Medizin, Weiterbildung Akupunktur und Naturheilverfahren, Niederlassung als Hausarzt in Norderstedt/Schleswig-Holstein
2009 Geschäftsführung und Pressesprecher Hausarztnetz Nord (HANN GmbH),
Vorstand der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein eG (seit 2010 äg Nord eG)
2013 Vorstand der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Vorsitz im Berufsordnungsausschuss
2015 Stellvertretender Vorsitzender des MEDI GENO Deutschland e.V.
2018 1. Sprecher, Vorstand äg Nord eG